Eine lyrische Fassung kolonialer Geschichte(n) und ihrer verstrahlten Folgen
2018
Rauminstallation
Texte, Bilder, Objekte, Artefakte
7 x 4 x 3 m
Eine mehrmonatige Recherche zu Kolonialismus, Rassismus und deren Folgen ist Grundlage dieser Arbeit. Diese komplexen und sich in andere Bereiche verzweigende Themen, die Recherche dazu, das so erweiterte Wissen über die Geschichte und die damit verbundene Weltmechanik übersetzte ich in eine eigene, zarte Sprache. Mein so entstandener lyrischer Text wurde von einem Text des schwarzen britischen Autors Musa Okwonga erweitert – er ist eine weitere Stimme im Projekt, welche mit einem gänzlich konträren, persönlichen Hintergrund spricht. Beide Texte wurden in Passagen unterteilt, untereinander vermischt und von mir an verschiedenen „Stationen“ im Raum mit Objekten, Bildern und Artefakten umrahmt, erweitert bzw. kontrahiert. Eine Vielzahl an Stimmen sollte sprechen und die Autorenschaft der beiden Texte verloren gehen – daher wurden die untereinander vermischten Textpassagen von vier Personen abwechselnd an den Stationen im Raum für die Besucher vorgetragen.
Maria Bichler, Musa Okwonga und Gäste
/// ENGLISH VERSION ///
A lyrical version of colonial stories and its contaminated consequences
2018
room installation
texts, pictures, objects, artifacts
7 x 4 x 3 m
A multi-month research on colonialism, racism and their consequences is the basis of this work. I translated these complex topics, which branch out into other areas, the research on them, the expanded knowledge of history and the associated world mechanics into my own, gentle language. My resulting lyrical text was supplemented by a text from the black British author Musa Okwonga - he is another voice in the project that speaks with an entirely contrary, personal background. Both texts were divided into passages and mixed with each other. I framed, expanded or contracted these passages at different "stations" in the room with objects, pictures and artifacts.
A large number of voices should speak and the authorship of the two texts should be lost - that is why the mixed text passages were alternately performed by four people at the stations in the room for the visitors.
Maria Bichler, Musa Okwonga und Gäste
/// TEXTS ///
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Die beiden Texte:
"Je mehr Einblick, desto weniger Aussicht"
und "Righteous Migrants"
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1) (Stehtisch, A5 Karte beim Globus)
Begrüßt mit mir nun die Worte, welche sich mit bildhaftem umrahmen, auf ihrer Fernreise in den verlockenden Süden!
Jene Worte welche es in diesem Akt schaffen, pointierter von einer ambivalenten Reise zu erzählen, als es reine Bilder schaffen würden. Nichtsdestotrotz sind eben der Wörter ihre Freunde, die Bilder im Raum, heute auch hier. Da sie zweifelsohne miteinander verlobt sind.
Lassen wir sie aus dem Mund sprudeln und starten hier in der – noch – Lüderitzstraße, einst beehrend benannt nach diesem nun vielumstrittenen „Kolonialherren“.
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2) (Holzregal, schwarzes Haushaltsbuch)
Wie war ich genervt.
Dazu spulen wir das Aufnahmegerät kurz in der Zeit um zwei Dekaden zurück:
Dachte ich, ich hatte noch nicht mein minimales Taschengeld bekommen, sah Mama im Haushaltsbuch nach; natürlich bekam ich es schon in diesem Monat; keine Finanzen entgingen diesem Buch. Absolut kein Ausblick auf mehr Groschen.
Dann noch der Zettel in dem die Ausgehzeiten meiner großen Geschwister sowie die Höhe des Geburtstags- und Weihnachtsgeldes verzeichnet waren. Keiner von uns rutschte durch.
Absolute Gleichberechtigung für uns alle.
Jahre später merke ich vermehrt, diese Schulung war ein so schöner, humaner Ansatz. Aber leider entspricht er nicht der Realität: Man versucht es zwar immer wieder, aber Gleichberechtigung existiert nicht in der Welt.
Jede und jeder Einzelne aus allen Erdwinkeln erblickt die Welt mit verschiedenen Voraussetzungen, verschiedenen Lebensrealitäten und macht andere Erfahrungen. Alltäglich sehen wir alle anderes, welches wir nachahmen, welches uns formt und auf welches wir verschieden reagieren.
Summa summarum: Du öffnetest deine großen Augen im kindlichen Antlitz, siehst zuerst verschwommen und erkennst später, dass deine Realität anders ist, als die deines Nachbarn. Dies alles formt uns zu verschiedenartigen Gewohnheitstieren, die schwer aus ihren einstudierten Rollen austreten können. Dies macht auch das Fremde so fremd; und schwer anzunehmen. Wie soll man bloß mit etwas umgehen, dass man nicht kennt und versteht? Am Besten: einfach weg damit.
Und nicht zu vergessen: jedem Begegnen andere Hürden. Hürden die oft auf dem Mist des Gegenüber fußen; Mit seine Fußen scharrt der Hahn und kräht um Aufmerksamkeit, er markiert also wieder sein Revier, dieser Platzhirsch. Ich sehe: der Mächtigere unterdrückt den Schwächeren; purer Proft.
Und so wird es immer bleiben? Immer bleiben.
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3) (Ventilator, angebundenes Papier)
What happened to the winds that sent the slave ships?
Some of these gusts are proud that they filled those ancient sails.
You could hear them above Berlin on election night,
Hailing the arrival of the moonlight and far-right;
You could hear them whistling through the corridors
of the Holocaust memorial, slapping its stone walls and floors,
Gasping applause.
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4) (Ventilator, angebundenes Papier)
Der kalte Winterwind weht anno 2017/2018 durch die Straßen von Berlin. Keine Spur von glänzendem Weiß, nur die Kälte ist zu spüren.
Ich mitten im Wind, welcher mich umhüllt und mir Geschichten erzählt.
Als ich da stehe bei meinem Anfang mit Kolonialismus und Rassismus. Die Bedeutung der Wörter zu Beginn - wie ein Fremdwort. Fremdwörter zu denen die Übersetzung zu fehlen scheint, da die einzige Quellenangabe schwer leserlich verschmiert ist.
Ach, diese unachtsamen Hüter der Geschichte; welche die Leserichtung variabel beeinflussen können. Das muss alles ein Märchen sein.
Tage, Monate vergehen mit vertiefender Recherche. Die Themenkomplexe Kolonialismus und Rassismus ziehen weitere Kreise als gedacht. Irgendwann ist das Ende des gespannten Bogens nicht mehr mit dem bloßen Auge zu erkennen.
Später versagen auch die Teleskope. Die Forscher müssen bessere Geräte bauen!
Es zeichnet sich ab, die Kreise berühren und beeinflussen auch viele andere Themen auf der Welt. Ich erkenne es nun. Die Abhängigkeit ist fatal.
Das Themenfeld verbreitert sich, es wächst exponentiell.
Ich sehe Auswirkungsgrade - bis heute.
Kann es nicht mehr ertragen; es pfeift zu sehr in den Ohren; das Wissen schmerzt.
Was tun? Keine Ahnung!
Es wird mir kalt vom Wind.
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5) (Segelboot, Karteikarten)
Äußerste Kraft voraus, Entdecken, den Platz an der Sonne, den Traum der Ferne, geschickte Verhandlungen, Aneignen, sogenannter Landkauf, Berlin Konferenz, aufgeteilt werden, durchtrennt werden, Realitäten in der Ferne, Kolonialherrschaft, Rassismus, Aufstand, Genozid, Schaudern, Kolonialwaren, Auftakt der Konzentrationslager, zu Tode schuften, sagt der Mächtigere.
Die Zeit heilt alle Wunden, Fahrt ins neue Zeitalter, Unterdrückung, Postkolonialismus, Geldgeschäfte, vermeintliche Hilfeleistungen für Afrika, Profit daraus schlagen, Medizinische Hilfe, Geburtenexplosion, Lebensgrunderhaltungswissen fehlt, falsche Hilfeleistung, Nahrungslieferungen nötig, Chinesische Gratiskredite, Zukunftsanlagen, Postrassismus.
Schützengräben, im Norden abbauen, Angst vor dem Unbekannten, die Zeitung bestätigt es, Inländer sind sich sicher, alle Ausländer sind gleich, all diese Verbrecher, über einen Kamm scheren, unbewusst beleidigend handeln, bewusst beleidigend handeln, Macht, Monsunregen, Weltmacht, falsch durchdachte Willkommens-Einladung, führt zum Massen-Meeressterben, die kurzzeitigen Gäste ausladen, kein vorausschauendes Konzept, europäische Wahlkampfpropaganda, Dunstschwaden, Ohnmacht.
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6) (Segelboot, Textabschnitt liegt in Wanne)
What happened to the winds that sent the slave ships?
Some of these breezes, still thick with guilt,
Now speed refugees towards Europe;
Impatient to atone,
they toss yet more dark bodies into the foam.
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7) (Holzregal, Textabschnitt bei Reichsapfel)
Erinnerungsfetzen an eine schaurigwahre Geschichte eines einflussreichen Mannes, vom kalten Winterwind nacherzählt:
„
Alles dreht sich um die Macht, um sie zu besitzen; dafür steig ich über Leichen.
Solange die Macht mit mir sei, bin ich oben;
Ich als Stärkerer unterdrücke; und verfüge über alles mir Untergeordnete.
Kommt mir ja nicht auf die Schliche! Ich baue meinen Vorsprung hurtig aus, ich schiebe anderes vor um euch zu verwirren, um euch zu täuschen.
So dass ihr nicht seht, auf den von mir verdreckten Grund des weitläufgen Marianen-Meeresbodens. Meine Errungenschaften, mein Proft, nichts gebe ich her. Niemand rund um mich ist einer meiner Blicke nötig. So soll es weiter gehen, bis wir eine fünfstellige Jahreszahl schreiben.
Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich – Macht - heiße.
„
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8) (Sessel, Textabschnitt in runder Teedose)
What happened to the winds that sent the slave ships?
Some of this air is in the best of health,
Since it has forgiven itself:
“I was simply swept along by the prevailing mood,
There is nothing I could do.”
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9) (Sessel, Textabschnitt bei quadratischer Kaffeedose)
Guter Kaffee – gute Laune. Duftende, fremdländische Gewürze in der Heimat. Gezuckerte, edelste Teesorten im Häfen. Schokolade, das edle Kakaoerzeugnis, macht sowieso glücklich.
Das Produkt auf der Zunge zergehen zu lassen, es im Magen zu wissen reicht uns;
Von Produktion, Ausbeutung, Sklavenarbeit, Tot und allem vorherigen brauchen wir nichts zu wissen. Das war ja sowieso früher einmal. Ohren auf Durchzug.
Es zieht hinweg über Afrika, es nimmt alles und jeden mit der zu gebrauchen ist. Auf diesem zweitgrößten Kontinent teilt sich der Luftzug nach links und rechts, in die Karibik und nach Ozeanien, und dann weiter. Irgendwann, nach langer Reise, mischen sich die Winde wieder und kehren zurück zum Ursprung, in die sogenannte Heimat. Laue Brisen am Abend sieht man hier zu Lande gar nicht gern. Die Winde zirkulieren kontinuierlich, mischen sich neu.
Was der Wind von seinen Reisen auf rauer See dabei nicht alles erzählt: von Schutztruppen, Versklavten, Gewalt, Konzentrationslagern, Bananenplantagen, Schwarzen Konkubinen, Rassenhygiene, deutschem Passentzug für Kinder mit einem nicht deutschen Elternteil, Qual und Schmerz. Aber auch von besseren Zukunftsvisionen, Kämpfern und Hoffnung.
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10) (Fenster, von Decke hängender Textabschnitt)
What happened to the winds that sent the slave ships?
Some of these hurricanes remain enraged;
You can hear them in the chests of activists
Who stand across from fascists in Spandau:
They are the howls of every African child woman and man drowned.
These winds have always resisted
With every major and minor breath -
Whether forming storms that left the slaver’s ship a wreck
Or sending mischievous wafts to blow the hats from masters’ heads.
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11) (Fensterbank, Brief in roter Box)
post = nach
Und immer noch mittendrin, noch immer nicht abgeschlossen;
weiterhin die ausgeleierten Schuhe schnüren, im Trampelpfad stampfen, im Kreis gehen.
Wir haben Post bekommen;
Zu lesen: es fehle schon die Sohle und der Zenit ist noch immer nicht erreicht.
Diese extremen Kletterbedingungen machen schwer zu schaffen in unserem kurzweiligen irdischen Dasein. Das wir uns gegenseitig zur Hölle machen. Immer wieder.
Nur wegen der Macht; die wir am Horizont des Himmels erblicken, als er sich verdunkelt.
Und hier ein wichtiges Zitat in der Nachschrift: Wir schaffe es einfach nicht über den Gipfel, hinüber auf die andere frische, zart babyhäutige Bergseite.
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12) (Bilderrahmen, Text im Rahmen)
Jede weitere Recherche, jeder weitere Text, jeder weitere Film, jeder weitere Erfahrungsbericht, jedes weitere Gespräch,
ist äquivalent
zu einem sich immer enger schnürenden Korsett.
Meinem Leib bleibt die Luft immer mehr weg. Die Aussicht auf eine bessere Luftzufuhr ist grottenschlecht. Nichts auf das Ganze zu sagen ist schlecht, etwas tun ist auch so oft falsch – aber was kann oder soll ich nun eigentlich als Weißer, als weiße Europäerin beitragen, was tun, was sagen und was nicht?
Diese Leitfrage ist für mich letzten Oktober zu Beginn meiner Ankunft noch tief im goldigen Herbstlaub vergraben; so versteckt wie einst die Entzifferung der Keilschrift, es gab noch keine Ahnung vom Verlauf während meines Auslandsaufenthaltes.
Die Frage geht spät Abends beim Kaminfeuer so gut wie Oma ́s Germteig auf; aber lässt sie sich überhaupt noch einverleiben?
Die Frage bläht sich zusehends auf die Größe eines Zeppelins auf und riskiert in Ratlosigkeit wie die Hindenburg zu explodieren.
Es ist schwer Wege zu fnden, lasst uns alle danach suchen, lasst uns gemeinsam suchen!
Auch wenn es ausweglos erscheint, will ich das Thema nicht einfach beiseite legen; nicht nichts sagen. Was ich kann, was ich will, ist erzählen von meiner Expedition. Von meinen dabei gefesselten Händen, meinem offenen Mund, meinen lahmen Beinen, meinen huschenden Gedanken, meinem Nicht-Verstehen - als ich vordringe in das Dickicht der Kolonialismus Geschichtsstunden. Es wird noch extremer, ein dichter Nebel zieht auf, als ich die Zusammenhänge bis ins heute, bis in die Weltstruktur und die Machtverhältnisse anfange zu erahnen.
Eine Reise in den Süden um den Norden zu sehen.
Ich bin nichtswissend hineingeschlittert in diese Reise, ich bleibe aber weiterhin am Pfad. Bei dieser Fahrt mit der ruckeligen Postkutsche bin ich nicht annähernd zu einer Expertin geworden.
Ein Dunst von Wissen umgibt mich als ich zurückkehre in meine Pausen-Einheit in Europa. Den gehörten Geschichtsstoff erzähle ich hier fragmentarisch in eigener Übersetzung nach:
Jedes weitere Bewusstwerden
ist äquivalent
zu einem weiteren gemeinsamen Schritt mit vorpreschenden Safari-Offroad-Gefährten.
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13) (Bettlacken, Text am blauen Kissen)
What happened to the winds that sent the slave ships?
None of them have retired:
They’ve migrated to Germany in their millions,
And you can find the righteous ones
Whispering through its capital city at weekends,
Slipping through a window to cool a queer couple after a long afternoon of love:
Or sighing through the barbecues at Tempelhofer Feld,
Content that there is still a world that knows how freedom smells.
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14) (Stehtisch, Text am Silbertablett)
Die bittere Schokolade in der linken Hand und rechts,
stoßt mit mir an auf den Anfang vom Ende;
Wohl bekomm ́s
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